Was wir uns beim Lernen von Kindern abschauen können

Was wir uns beim Lernen von Kindern abschauen können

Oder: warum Spaß gewinnt

Welche Unterschiede gibt es beim Lernen im Kindesalter im Vergleich zum Erwachsenenalter? Und wie wirkt sich das auf das lebenslange Lernen aus? Wir haben mit dem Lern-Experten Dr. Johannes Hellenbrand gesprochen und er verrät, welche Unterschiede es in den Lernstrategien zwischen Kindern und Erwachsenen gibt.

Vielen dürfte das Sprichwort „Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr“ bekannt sein. Doch stimmt das wirklich? Es mag sein, dass es im Alter mühsamer ist, etwas Neues zu lernen. Aber es gibt ebenso gute Beispiele dafür, dass sich auch ältere Menschen neues Wissen oder Fähigkeiten aneignen können. Und das ist auch gut so: Denn lebenslang zu lernen, ist wichtig, um immer wieder neue Herausforderungen meistern zu können und sich persönlich weiterzuentwickeln.

Ein Kurzüberblick: Wie wir lernen

In keiner Phase des Lebens lernen wir schneller und mehr als in den ersten Lebensjahren. Das funktioniert vor allem über das Nachahmen: Bereits Babys beobachten und imitieren, was sie sehen. Das Neugeborene lernt nicht bewusst, denn es kann seine Aufmerksamkeit nicht willentlich einer bestimmten Sache widmen. Wird ein Baby zum Kleinkind, entwickelt es den starken Willen, neue Dinge zu erfahren und zu erleben. Das Lernen, das sich daraus ergibt, ist „nur“ der Nebeneffekt. Kleinkinder lernen vor allem im Spiel und in der Wiederholung. Spaß ist ein wichtiger Faktor.

Ab dem Schulalter ändern sich die Gründe, warum Kinder lernen. Ab sechs bis sieben Jahren kommt das systemische, zielorientierte Lernen hinzu. Auch das Messen mit Gleichaltrigen macht ihnen dann Spaß. Sie haben ein Ziel vor Augen, das sie motiviert und wollen zu den Besten gehören. Das ist ähnlich wie bei uns Erwachsenen. Wir lernen hauptsächlich etwas dazu, wenn wir ein bestimmtes Ziel verfolgen.

Motivation und Lernen

Der größte Unterschied beim Lernen von Erwachsenen im Vergleich zu Kindern ist der Faktor Motivation. Kinder lernen hauptsächlich, weil sie aus sich heraus motiviert sind. Sie haben Spaß an einer Sache, befassen sich deshalb ganz natürlich damit und lernen so dazu. Das nennt man auch intrinsische Motivation. Erwachsene lernen deutlich häufiger, weil sie „müssen“. Einen Anstoß oder Grund für das Lernen gibt es dann nicht in ihnen selbst. Gelernt wird, um ein Bewerbungsgespräch zu bewältigen, eine Prüfung zu bestehen oder einen besser bezahlten Job zu ergattern. Extrinsisch motiviert nennt man das.

Natürlich erfolgt Lernen bei Erwachsenen nicht nur aus dieser extrinsischen Motivation heraus. Auch sie verfolgen gewisse Ziele, weil es ihnen Spaß macht: Sie lernen ein weiteres Instrument, eine noch diffizilere Zeichentechnik oder vertiefen sich in eine neue Sportart. Erwachsene sind jedoch insgesamt anspruchsvoller und kritischer beim Lernen als Kinder, sagt der Lern-Experte Dr. Johannes Hellenbrand. Er arbeitet aktuell als Lehrer und war zuvor als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Lehr-Lernpsychologie an der Universität Duisburg-Essen tätig. „Erwachsene hinterfragen öfter, warum sie dieses oder jenes überhaupt lernen sollen. Kinder nehmen erstmal vielmehr an und sind offener gegenüber neuen Lerninhalten.“

Strukturiertes Lernen

Erwachsene haben sich in ihrem Leben bereits viel (Vor-)Wissen angeeignet und sich darüber zumeist für sich funktionierende Lernstrategien erarbeitet. Dem einen hilft es, etwas Neues immer und immer wieder zu lesen. Der anderen bringt es etwas, Dinge praktisch auszuprobieren, um es „abzuspeichern“. Dr. Hellenbrand erklärt: „Lernen heißt, dass sich Neuronen im Gehirn verknüpfen. Erwachsene haben im Gegensatz zu Kindern aufgrund ihrer individuellen (Lern-)Erfahrungen ein festeres und stabileres neurales Netz im Gehirn. Da die neuralen Netze der Erwachsenen jedoch fester verknüpft sind – zum Beispiel, weil ein Verfahren immer auf die gleiche Weise angewendet wurde – fällt es ihnen oft schwerer als Kindern, andere, neue Lernstrategien auszuprobieren.“ Kinder sind offener, da sie verschiedene Lernstrategien erst kennenlernen. Ihnen fehlt jedoch die strukturierte Herangehensweise an das Lernen, die Erwachsene oft gut beherrschen.

„Es gibt drei Phasen beim Lernen. Die erste ist die Planungsphase, die vor dem Lernen stattfindet. Was sind eigentlich meine (Lern-)Ziele und wann habe ich Zeit zum Lernen? Dann folgt die eigentliche Lernphase und zum Schluss die Phase der Reflexion und Evaluation, in welcher überprüft wird, ob die selbst gesteckten Ziele erreicht wurden oder ob die angewendeten Strategien geändert werden müssen. Dann beginnt der Zyklus wieder von Neuem. Vor allem die erste und letzte Phase werden von Kindern (und auch Erwachsenen) zumeist wenig beachtet – und dass, obwohl sie mindestens genauso wichtig sind wie die Lernphase selbst.“ Hellenbrand hält es für wichtig, dass Kinder an das strukturierte und selbstregulierte Lernen herangeführt werden. Bestandteil der schulischen Ausbildung sei das jedoch nicht direkt. „Auch Erwachsenen fehlt oft diese Struktur, das habe ich in meiner Zeit an der Universität häufig festgestellt“, sagt er.

Was Jung und Alt beim Lernen hilft

Kinder und Erwachsene mögen andere Herangehensweisen an das Thema Lernen haben. Sie haben andere Erfahrungsschätze und sind mehr oder weniger voreingenommen. Was den beiden Gruppen beim Lernen hilft, ist jedoch trotzdem sehr ähnlich.

Persönliches Interesse und Spaß Diesen Punkt haben wir bereits eingangs besprochen. Spaß und Freude sind wichtige Faktoren beim Lernen – auch bei Erwachsenen. Wenn wir auf diese Weise lernen, können Lerninhalte besser verarbeitet und behalten werden. Im besten Fall sind wir intrinsisch motiviert und lernen aus uns selbst heraus. Übrigens: Ein gutes Lernangebot kann es schaffen, aus extrinsischer eine intrinsische Motivation zu machen.

Positive Lernerfahrungen „Emotionen spielen eine große Rolle beim Lernen. Waren meine Lernerfahrungen in jungen Jahren positiv und mir fiel das Lernen leicht, werde ich bis ins Erwachsenenalter eine positive Grundhaltung dem Lernen gegenüber beibehalten“, so Dr. Hellenbrand. Eine positive Grundhaltung kann jedoch auch noch im Erwachsenenalter entstehen. Machen wir innerhalb einer Aus- oder Weiterbildung gute Erfahrungen, macht Lernen Spaß und funktioniert ohne Druck, kann das den Teufelskreis durchbrechen. Dann werden Barrieren abgebaut und die Lernenden können unvoreingenommen auf Neues zugehen.

Imitation und Rollenspiele Beim Mutter-Vater-Kind-Spiel versetzen sich Kinder in andere Personen hinein. So lernen sie es, auch andere Perspektiven anzuerkennen und erproben soziales Verhalten. Auch für Erwachsene können Rollenspiele sehr hilfreich sein. Das funktioniert zum einen in Trainings, in denen es um Gruppenzusammenhalt und Teamwork geht, aber auch, wenn beispielsweise Kundenberater lernen sollen, noch besser auf ihre Kund:innen einzugehen. Das Einnehmen verschiedener Perspektiven hilft dabei, sein eigenes Verhalten zu reflektieren und sich besser in sein Gegenüber hineinzuversetzen.

Spiele spielen Spielen macht Spaß – nicht nur Kindern. Wir alle haben einen natürlichen Spieltrieb. Auch Lernangebote für Erwachsene können sich daher spielerische Elemente zunutze machen, um die Motivation zu steigern. Wie wäre es beispielsweise, wenn Lernende eine Aufgabe oder ein Rätsel lösen müssten? Oder wenn Lerninhalte als Quiz gestaltet werden und Lernende gegeneinander spielen könnten?

Wiederholungen nutzen Um sich bestimmte Inhalte besser merken zu können, ist es förderlich, wenn Lernende diesen mehrfach begegnen. In Trainings oder digitalen Lernformaten heißt das, gewisse Informationen tauchen an unterschiedlichen Stellen auf und werden immer wieder mit anderen verwandten Aspekten verknüpft. Es kann auch sinnvoll sein, die Inhalte auf unterschiedliche Weise darzustellen, zum Beispiel als Text, Bild oder Video.

Trial-and-Error Kinder machen es automatisch: Sie probieren Dinge aus. Klappt nicht? Egal, komm wir probieren es noch einmal! Erwachsene gelangen häufig schnell an ihre Geduldsgrenze, wenn etwas nicht gelingt ... Doch nicht das Ergebnis allein zählt. Das Ausprobieren selbst ist eine Lernleistung und das Finden des richtigen Weges festigt das Gelernte um so mehr.

Selbstbestimmtes Lernen Sowohl für Kinder als auch für Erwachsene ist es ein Bedürfnis, über sich selbst zu bestimmen. Das trifft auch im Lernkontext zu: Wird uns diktiert, was wir wann wie lernen sollen, kann das unsere Motivation stark bremsen. Können wir jedoch mitbestimmen, hat das einen anderen Effekt. Daran orientiert sich die Montessori-Pädagogik im Schulbereich. Doch auch Lernangebote für Erwachsene können so gestaltet werden, dass Selbstbestimmung möglich ist: Gerade E-Learning-Angebote bieten viele Freiheiten – zum Beispiel was den Ort oder die Zeit des Lernens angeht.

Quellen: Manfred Spitzer, Wie Kinder denken lernen, 2019, mvg Verlag Lerntheorie von Malcom Knowles Seidel, T. & Krapp, A. (Hrsg.). (2014). Pädagogische Psychologie (6. Aufl.). Weinheim: Beltz.

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